Elektrische Fische

Coverfoto Elektrische Fische
Copyright: Carlsen

von Susan Kreller
Carlsen, 2019
gebunden, 192 Seiten
ab 13 Jahren
ISBN  978-3-55158404-5
15,50 Euro

Früher, das ist gar nicht lange her. Früher hat bis heute Morgen gedauert, ungefähr bis zu dem Moment, als das blaue Taxi vor dem Haus stand und wir unser irisches Leben in den Kofferraum stapeln mussten, um von Dublin nach Deutschland umzuziehen. Nach Velgow, in das Dorf unserer Mutter, in das sie seit 20 Jahren keinen Fuß und keins von ihren Kindern gesetzt hat.

Emma (13) muss aus Dublin wegziehen, weg von ihren Großeltern und ihren Freunden. Ihre Mutter hat sich von ihrem Vater getrennt und beschlossen in ihre Heimat zurückzukehren, in ein winziges einsames Dorf am Ende von Mecklenburg-Vorpommern. Absolut keine gute Idee, finden Emma und ihre Geschwister, Dara und Aoife.

Denn in Velgow spricht niemand ihre Sprache, ihre deutschen Großeltern scheinen sich über den neuen Familienzuwachs rein gar nicht zu freuen und die Schule ist ein wahres Desaster. Vom ersten Tag an weiß Emma, dass sie zurück will nach Irland, und zwar so schnell wie möglich. Doch wie soll sie allein und ohne Geld  über den Atlantik kommen?

Der Einzige, der Emma irgendwie zu verstehen scheint, ist ihr scheuer Mitschüler Levin aus dem Nachbardorf. Er hat selbst eine äußerst schwierige Familie und kein leichtes Leben. Aber er scheint sich auf ganz besondere Art zu Emma hingezogen zu fühlen.

Meistens sitzt er reglos und schweigend neben Emma am Strand der Ostsee, aber eines Tages eröffnet er ihr einen seinen genialen Plan. Wird es Emma gelingen, nach Dublin zurückzukehren?

Diese Geschichte hat mich wirklich umgehauen. Susan Kreller, die Autorin, lässt Emmas Gefühle, ihre Traurigkeit und Wut geradezu aus den Seiten herausspringen. Mit jedem Wort kann man Emma besser verstehen und man möchte ihr am liebsten selbst  ein Ticket kaufen, um sie aus diesem eintönigen, leeren und melancholischen Ort Velgow herauszuholen.  Auch Levin wächst einem trotz seiner wortkargen Art langsam ans Herz. Man ahnt, dass er noch eine Riesenüberraschung auf Lager haben muss.

Susan Kreller beschreibt diesen niederdrückenden Ort und die schwere Zeit für Emma in fast poetischen Worten. Man glaubt ihr jedes Gefühl, jede Stimmung und ist ganz nah bei allen Charakteren. Das finde ich unglaublich gelungen. Auch die packende Geschichte hat einige brisante Wendungen zu bieten und entfaltet bald eine richtige Sogwirkung auf den Leser.

Aber ganz besonders möchte ich noch auf das  atemberaubend schöne Titelbild eingehen. Das einsam im Meer stehende Mädchen, das sehnsuchtsvoll in die blassrosa- lichtblaue Weite des Horizonts schaut, ist an Ausdruckskraft nicht zu überbieten. So einen eye-catcher habe ich lange nicht gesehen!

Ein Wahnsinnsbuch, sehr empfehlenswert, für Jugendliche und  für Erwachsene gleichermaßen!

Monika H.

Und hier kommt noch eine zweite Meinung zu diesem Buch:

Ihr Leben lang hat Emma in Dublin gelebt. Nicht einmal innerhalb der Stadt ist sie umgezogen, doch dann beschließt ihre Mutter zurück in ihre Heimat zu ziehen. Nach Deutschland, zu ihren Eltern. Emma, ihre Schwester Aoife und ihr Bruder Dara sind davon alles andere als begeistert, aber sie haben ja keine Wahl. In Deutschland ist alles seltsam. Das Brot ist viel zu hart, die Teebeutel sind einfach nur merkwürdig und auch die Großeltern fühlen sich eher an wie Fremde. Und dann Aoifa hört einfach auf zu sprechen. Kein Wort kommt mehr über ihre Lippen, nur Tränen rinnen ständig über ihre Wangen und ihr Schweigen tobt lauter als ein Orkan. Ganz leise hingegen beschließt Emma abzuhauen. Sie wird zurück nach Irland gehen. Sie braucht nur noch einen Plan.

Diesen Plan scheint ausgerechnet der stille Levin aus ihrer neuen Klasse zu haben. Gemeinsam erarbeiten und proben sie Emmas Reise, doch je näher die wirkliche Umsetzung rückt, desto unsicherer wird Emma und auch Levin scheint nicht gerade begeistert von ihrer baldigen Abreise zu sein. Will sie wirklich zurück nach Irland? Jetzt wo ihre Geschwister und ihre Mutter in Deutschland sind? Wäre Irland überhaupt noch ihr Zuhause? Was bedeutet Heimat überhaupt? All diesen Fragen sieht sich Emma gegenüber und weiß gar nicht mehr, was sie wirklich will.

Ich stelle es mir sehr schwer vor, mein Heimatland hinter mir lassen zu müssen und irgendwo ganz neu anzufangen. Vor allem wenn man nicht selber über dieses Schicksaal entschieden hat, sondern einfach gezwungen wird. An der Geschichte von Emma und ihren Geschwistern gefällt mir daher besonders gut, dass alle drei anders mit allem umgehen. Dara scheint mit dem Umzug am besten klarzukommen und ist am Ende doch der Einzige der Jahre später nach Dublin zurückkehrt. Aoifa hört einfach auf zu sprechen und zieht das auch ziemlich lange durch, was ihre Verzweiflung sehr eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Und dann ist da noch Emma, die still und leise mit Levin ihre Flucht plant.

Alle drei trauern auf ihre Weise. Für alle hat Heimweh eine andere Bedeutung und ich finde diese Tatsache einfach fantastisch, da ja auch Heimat für alle etwas anderes bedeutet. Für mache ist es ein bestimmter Duft, eine gewisse Landschaft oder die Menschen, die einen Lieben. „Elektrische Fische“ zeigt auf wundervoll einfühlsame Art, wie sich Heimweh bemerkbar macht und auch wie es sich im Laufe der Zeit wandelt; Wie auf einmal ein bis dahin unbekannter Ort zur Heimat werden kann, wenn man ihm nur eine Chance gibt. Jedes Ende kann auch ein neuer Anfang sein und diese wunderschöne Botschaft hinter der, zu Beginn doch sehr traurigen Geschichte, macht dieses Buch unglaublich lesenswert.

Ann-Kathrin Opiolka, 18 Jahre

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