von Sarah Bergmann
magellan, 2020
gebunden,236 Seiten
ab 13 Jahren
ISBN:978-3-7348-4723-3
15,00 Euro
Paul, der am Rande eines mit Wasser gefüllten Bombenkraters saß, ließ seinen Blick schweifen. Üblicherweise nahm er die Ruinen, die Mauerreste und Trümmerberge und die Eisenträger, die hier und da aus dem Schutt in den Himmel ragten, nicht besonders wahr. So sah es in seiner Heimat Neu-kölln eben aus. Er konnte sich kaum noch erinnern, dass es je anders gewesen war.
Der 14jährige Paul lebt mit seiner Mutter, sie ist Näherin, in einer kleinen Wohnung in einem Berliner Hinterhaus. Sein Vater ist in Russland verschollen, aber Paul glaubt fest daran, ihn eines Tages wiederzusehen. Bis dahin muss er versuchen, seine Mutter zu beschützen und auf dem Schwarzmarkt Essen aufzutreiben, damit sie nicht verhungern. Das hat er seinem Vater, bevor der in den Krieg zog, versprochen.
Pauls Leben ist hart, er hat nahezu immer großen Hunger und er lebt gefährlich. Denn Berlin ist zerbombt ( 1947) viele Häuser sind nur noch einsturzgefährdete Ruinen. Doch Paul hat sich mit seinem Leben arrangiert, er lässt sich nicht hängen, sondern stellt sich allen Schwierigkeiten.
In einem alten Bunker trifft er sich regelmäßig mit Falke, Hotte, Henkelmann, Grille und Wally (seiner Bande) und erlebt in den Trümmerbergen von Neukölln (aus heutiger Sicht gesehen) unfassbare Abenteuer.
Als Paul durch Zufall erfährt, dass seine Mutter seinen Vater aufgegeben hat und den freundlichen afroamerikanischen Soldaten Bill heiraten will, ist er verzweifelt und will Bill umbringen….
Ich habe ein bisschen gebraucht, um in diese Geschichte hineinzuwachsen, denn sie spielt in einer ganz anderen Welt. Wer den Krieg nicht selbst miterlebt hat, (und das werden die meisten Leser dieses Buch wohl nicht) muss diese Welt mit ihren Traumata und harten Überlebensregeln erst einmal verstehen lernen. Doch die Autorin schafft sehr eindrückliche Bilder, sie beschreibt sehr genau und klärt am Anfang und am Ende des Buches auch einige Begriffe, wie Lebensmittelkarten, GI, Hitlerjugend, Arier, Schwarzmarkt oder Untermensch. So kann man den Text besser verstehen.
Ebenso geht Sarah Bergmann auf die damaligen Nazi-Ideologien ein, die sicherlich auch nicht jedem jugendlichen Leser geläufig sind. Das hilft beim Lesen, Pauls, aber auch die Gedanken und Taten seiner Bande besser einzuordnen.
Jedes der 6 sehr unterschiedlichen Bandenmitglieder hat seine eigene starke ( und gleichzeitig auch brüchige) Persönlichkeit, die die Autorin gut herausgearbeitet hat. Was mir auch sehr gefallen hat, sind die Wandlungen und Entwicklungen, die Paul, Henkelmann, Falke, Hotte und Grille durchmachen. Sie sind nachvollziehbar und sehr beeindruckend.
So gibt dieses Buch einen Blick frei in ein Stück schwerer deutscher Geschichte, und zwar so, wie sie nicht in den Geschichtsbüchern zu lesen ist. Aber am Beispiel dieser sehr persönlichen Schicksale kann man sich selbst ein Stück weit in die Nachkriegszeit hineinversetzen.
Das Buch kann man nicht einfach so weglesen, dafür ist der Inhalt zu „schwer“. Trotzdem ist die Geschichte flüssig und fesselnd geschrieben, teilweise auch in Berliner Umgangssprache, was aber nicht stört, sondern sehr stimmig ist.
Das vergilbte Schwarz-Weiß- Foto eines Fahrrad fahrenden Jungen zwischen den Trümmerhäusern ist für meinen Geschmack als Titelbild sehr gelungen, weil es die Stimmung des Buches gut widerspiegelt.
Nach dem Lesen wirkt die Geschichte noch lange nach und man fragt sich, wie man sich selbst in dieser Zeit wohl verhalten hätte. Empfehlenswert.
Monika H.
Und hier kommt noch eine zweite Meinung zu diesem Buch:
Paul sah seine Mutter an. Ihre dünnen Arme, die raue Haut, das magere Gesicht. Er kämpfte mit sich. Sein Hunger fühlte sich nicht mehr wie eine wilde Bestie an, nur noch wie ein lästiges kleines Nagetier.
Paul lebt 1947, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, in Berlin. Die Stadt besteht zum größten Teil aus Trümmern, Lebensmittel sind rationiert. Weil Pauls Vater seit Jahren vermisst wird, kümmert er sich so gut es geht um seine Mutter. Auf dem Schwarzmarkt besorgt er Lebensmittel, im Winter muss er von Zugwaggons Kohlen klauen, um nicht zu erfrieren.
Ein komisches Gefühl stieg in Paul auf. Irgendetwas hatte sich schleichend verändert.
Paul ist überzeugt davon, dass sein Vater eines Tages zurückkommt und dass dann alles besser wird. Doch Pauls Mutter hat einen amerikanischen Soldaten kennengelernt, Bill. Bill ist sehr freundlich zu Paul und schenkt ihm immer wieder Schokolade, die er sonst nicht bekommt. Pauls Freunde, seine Bande, raten ihm, Bill davonzujagen. Da Deutschland im zweiten Weltkrieg gegen die Amerikaner gekämpft hat, gelten amerikanische Soldaten als Feinde…
Ich empfehle dieses Buch ab 14 Jahren. Du solltest schon einiges über den zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit wissen, um alle Begriffe und Zusammenhänge verstehen zu können. Es gibt am Ende des Buches zwar Begriffserklärungen, jedoch nur für einige Begriffe. Viele Zusammenhänge werden nicht erklärt, was ich etwas schade finde.
Dennoch beschäftigt sich dieses Buch mit einem eher ungewöhnlichen Thema. Es gibt zwar viele Bücher über den zweiten Weltkrieg und die Judenverfolgung, jedoch nur wenige über die Nachkriegszeit. Dies gefällt mir gut, weil es aufzeigt, dass der zweite Weltkrieg mehr Auswirkungen hatte als die Teilung Deutschlands.
Katrin Berszuck, 18 Jahre