von Gabriele Clima
Hanser, 2019
Klappenbroschur, 156 Seiten
ab 12 Jahren
ISBN 978-3-3446-26260-7
14,00 Euro
„Bist du bereit, Andy?“, fragte Dario. Und wendete den Rollstuhl. Andy gluckste. „Onne!“, rief er laut.
Dario lachte. „Sonne! Prima. Na siehst du, dass du kein Idiot bist?“ Und lief einfach los.
Wenn ihr den Film „Ziemlich beste Freunde“ mochtet, dann ist dieses Buch bestimmt was für euch. Denn es ist „Ziemlich beste Freunde“ für Jugendliche und erzählt über eine außergewöhnliche Freundschaft. Es ist die ganz besondere Beziehung zwischen einem sehr wütenden 16- Jährigen, Dario, und Andy, einem behinderten Jungen im Rollstuhl, der sich kaum bewegen und nur bruchstückhaft sprechen kann. Und auch, wenn man das nicht für möglich hält, kommen diese beiden nach anfänglichen Schwierigkeiten blendend miteinander klar und das Beste ist: Diese Geschichte ist nicht ausgedacht, sondern tatsächlich wahr.
Aber der Reihe nach: Dario ist in seiner Schule bekannt wie ein bunter Hund, denn er ist ein Nerver, ein Unterrichtschwänzer, ein Zerstörer wie er im Buche steht. Alle Lehrer haben ihn auf dem Kieker, besonders die Delfrati. Die glaubt sogar, dass Darios eigener Vater Darios Wutausbrüche nicht mehr ertragen konnte und sich deshalb aus dem Staub gemacht hat. Das hat sie vor der ganzen Klasse herausposaunt und da sieht Dario rot.
Nun sitzt er zum wiederholten Mal beim Direktor und wartet auf seine Strafe. Und die ist dieses Mal echt krass. Dario soll sich auf unbestimmte Zeit um einen „Menschen mit besonderen Fähigkeiten“ kümmern, als „ehrenamtliche Pflegebegleitung“. Das heißt im Klartext: Er soll einen körperlich und geistig Behinderten, den er gar nicht kennt, durch die Gegend schieben und auf ihn aufpassen. Doch Dario kann nicht mal auf sich selbst aufpassen, so scheint diese Aufgabe um einige Nummern zu groß für ihn zu sein.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten, sich in dieser neuen Situation zurechtzufinden, lernt Dario dazu. Ganz allmählich versteht er Andys Wünsche auch fast ohne Worte und die beiden lernen, sich auch nur durch Blicke zu unterhalten. Dario erkennt, wie festgefahren und behütet Andys Leben ist und er beschließt, mit ihm ans Meer zu fahren. Ohne groß nachzudenken und auch ohne jemandem Bescheid zu sagen, schiebt er mit Andy im Rollstuhl los. Die Richtung ist Dario klar. Er wird nach Torre Saracena fahren, dorthin, wo jetzt angeblich sein Vater wohnt.
Ohne Geld, Proviant und warmer Jacke wird der Ausflug schon bei Einbruch der Dunkelheit zum Problem. Aber es gibt immer wieder Menschen, die Dario und Andy weiterhelfen: Mit einem Essen, einem Platz auf der Kirchenbank, einem selbstgebauten Motor-Roller, an den man den Rollstuhl anhängen kann oder mit einer Dusche und frischen Klamotten.
So ziehen Andy und Dario tagelang allein durch Italien, und Dario merkt ziemlich schnell, dass Andy zwar behindert, aber kein Idiot ist. Und ein ziemlich guter Kumpel.
Aber nicht nur Dario verändert sich auf dieser Reise, auch Andy lernt und tut Dinge, die ihm vorher niemand zugetraut hätte. Und so wachsen beide an ihrer Freundschaft und der Verantwortung füreinander.
Dieses Buch ist witzig, abenteuerlich, schräg und voller verrückter Erlebnisse. Man kann nicht aufhören zu lesen bis zum verblüffenden Schluss.
Andy und Dario wachsen einem im Lauf der Geschichte richtig ans Herz, man hofft, weint und lacht mit ihnen und wünscht sich insgeheim selbst auch solch eine Freundschaft.
Dieses Buch beschönigt nichts, es ist ehrlich und authentisch und man vergisst beim Lesen fast, dass es eigentlich um einen Behinderten und sein Schicksal geht. Aber dieses Schicksal ist nicht bedrückend, sondern macht Mut, dass alles möglich ist, wenn man Freunde hat.
Die Geschichte wurde 2017 mit dem Andersen Prize für das beste Jugendbuch ausgezeichnet, völlig zu Recht, wie ich finde. Und ich möchte sie allen Jugendlichen und Erwachsenen ans Herz legen! Die Lektüre lohnt sich!
Monika H.
Und hier kommt noch eine zweite Meinung zu diesem Buch:
„Also Dario fand, dass Andy etwas Schönes war. Vielleicht, weil er so zerbrechlich war. Wie eine Glasfigur. Oder wie eine Blume. […] Wer hat denn gesagt, dass eine Blume dort bleiben muss, wo sie aus dem Boden gewachsen ist? Genügt nicht ein wenig Wasser und Licht, um die Dinge wachsen zu lassen? Ein wenig Sonne? Und Sonne gibt es nun wirklich viel auf dieser Welt. Wer sagt also, dass eine Blume dazu bestimmt ist, dort zu bleiben, wo sie gerade ist?“
Das sind Darios Gedanken während er mit Andy unterwegs ist. Dario ist eine Niete, so nennt seine Lehrerin ihn immer und so fühlt er sich auch oft. Schließlich hat sein Vater ihn nicht umsonst verlassen. Als er mal wieder Ärger in der Schule hat, wird er dazu verdonnert Freiwilligenarbeit im Bereich der Behindertenpflege abzuleisten. Dort trifft er auf Andy. Andy sitzt im Rollstuhl und ist ein Idiot. Nicht mal sprechen kann er. Doch irgendwann wird Dario klar, dass auch Andy Gefühle hat und es überhaupt keinen Grund gibt, ihn wie einen Idioten zu behandeln. Also macht er sich kurzer Hand auf den Weg und versucht Andy „das Leben“ zu zeigen. Die beiden geraten in ein Abenteuer, bei dem Dario lernt, sich um Andy zu kümmern und er beginnt, sich endlich selbst zu lieben. Und auch an Andy geht das Abenteuer mit Dario nicht spurlos vorüber.
Dario und Andy sind zwei tolle Figuren. Ich habe die beiden recht schnell ins Herz geschlossen. Dario sollte uns allen ein Vorbild sein. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und hat sein Herz am rechten Fleck. Wo andere sagen, er müsse sich bei Andy anders verhalten, weil er besonders sei, geht Dario einfach auf Andy zu und behandelt ihn wie einen „normalen“ Menschen.
Ich glaube, dass uns diese Zurückhaltung behinderten Menschen gegenüber oft einschränkt und wir einfach mal versuchen sollten, die Welt durch Darios Augen zu sehen. Natürlich macht Dario auch einige Fehler, doch das macht ihn als Figur nur noch echter.
Die Freundschaft, die zwischen den beiden entsteht, ist unbezahlbar und wir alle könnten auch so etwas haben, wenn wir nicht immer so oberflächlich wären.
Ich möchte euch allen diese Geschichte ans Herz legen. Denn sie hat das Potenzial, uns dazu anzuregen, über gewisse Dinge noch einmal nachzudenken und unsere Einstellung zu überdenken.
Das Buch ist kurz und gut lesbar geschrieben, also sind schon mal alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt!
Hier und da könnte man an der Geschichte kritisieren, dass sie vielleicht etwas unrealistisch ist und in manchen Punkten übertreibt, aber bei dem, um das es wirklich geht, bleibt sie echt und lebensnah.
Deswegen ist dieses Buch eine ganz klare Leseempfehlung!
Carolin Wallraven, 20 Jahre